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"Gruftige" Klassik |
bunnahabhain unregistriert
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Da es so etwas hier noch nicht gibt, möchte ich mal eine Zusammenstellung an "gruftiger" Klassik beginnen. Nur beginnen deshalb, weil ich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebe, man kann ja nicht alles kennen.
Was verstehe ich unter "gruftig"? Weiß ich selber nicht so genau. Ich hab das Schlagwort einfach gewählt, damit mehr Leute diesen Beitrag lesen
. Ich möchte hier Stücke vorstellen, die vom Text oder der Atmosphäre düster oder melancholisch sind, oder einfach hängen bleiben, irgendwie bewegen... ihr merkt schon was ich meine.
Sortierung nach Entstehungsdatum bzw. Lebenszeit des Komponisten.
Der große Depressive der Musikgeschichte:
John Dowland
Viele seiner Madrigale handeln vom Tod, entweder dem einer(s) Geliebten, oder dem eigenen, den er sich oft wünscht. Es gibt eine sehr schöne CD von John Potter ("In darkness let me dwell").
Das große Genie des Barock:
Johann Sebastian Bach
Er war ein sehr gläubiger Mensch, und hat in den meisten seiner Werke den Gedanken an die eigene Unvollkommenheit zum Ausdruck gebracht. Außerdem sagt man ihm nach, er sei ein großer Mathematiker gewesen, Musikwissenschaftler suchen (und finden) in fast jedem seiner Werke Zahlensymbole. Eine sehr beeindruckende und düstere Interpretation des Chorales "Den Tod niemand zwingen kunnt" und einer Partita für Violine solo, sowie eine Zusammenführung aus beiden, ist auf dem Album "Morimur" zu hören. Es singt das phantastische Hilliard-Ensemble, den Violinenpart übernimmt Christoph Poppen. Anhören und weinen! Und vor allem das Booklet lesen, sonst versteht man nicht warum die Stücke in dieser besonderen Anordnung erklingen.
Von Bach sind aber auch die Passionen sehr interessant, vor allem die Matthäuspassion schildert sehr einfühlsam und mitreißend das Leiden und Sterben Christi. Diese Geschichte dürfen sich auch Nicht- oder Andersgläubige zu Herzen gehen lassen - in einer Version, die im Gegensatz zu dem kürzlich im Kino gezeigten Passionsfilm ganz ohne Splattereffekte auskommt, aber gerade dadurch umso mehr unter die Haut geht. Meine Lieblingsaufnahme ist die von Ton Koopman.
Weil wir gerade im Mozartjahr sind:
Das Wolferl
Leider fällt mir wenig brauchbares ein. Nein, vor allem nicht das Requiem. Wenn "Name eines gewissen DJs" etwas bewegendes komponiert hat, dann die c-moll-Messe. Mit der wurde er allerdings leider nie fertig.
Die tragische Figur der Klassik:
Ludwig van Beethoven
Wer kennt sie nicht, Beethovens Fünfte? Mit drei Hammerschlägen "klopft das Schicksal an die Pforte". Er hat sich damit abgefunden, daß er mit der Zeit immer schlechter hören wird, bis zur völligen Taubheit am Ende. So drückt dieses Werk die tiefste Verzweiflung aus die ein Mensch überhaupt empfinden kann: Seine wahre Liebe nie wieder hören zu können.
Der ewige Zweite:
Franz Schubert
Warum der ewige Zweite? Wenn man von Klaviersonaten spricht, denkt man als erstes an Beethoven. Sinfonien? Auch Beethoven. Oder Haydn. Nur bei Liedern hat Schubert die Nase vorn... aber um die geht es hier gar nicht. Die großartigste Klaviersonate überhaupt ist die B-Dur-Sonate D 960. Ich habe sie vor ca. 10 Jahren zum ersten mal gehört (von Christian Zacharias in Karlsruhe) und wurde sofort süchtig nach dem Stück. Seit diesen zehn Jahren beiße ich mir regelmäßig die Zähne daran aus,
obwohl sie technisch gar nicht so anspruchsvoll ist. Vielleicht brauche ich noch mal zehn Jahre um sie so spielen zu können wie ich gerne will. Aber ich schweife ab. Warum ist sie so ergreifend? Schubert versteht es, aus einer ganz schlichten Melodie mit ganz wenigen Verzierungen eine so dichte Atmosphäre zu schaffen, daß man sie fast greifen kann. Wenn nach der ersten Vorstellung des
Hauptthemas in der linken Hand der "Todestriller" kommt, ist klar wohin die Reise geht: Trotz aller Heiterkeit die in der Durchführung, bleibt diese Bedrohung immer in der Luft. Aber genug dazu, bevor ich mich noch weiter hinreißen lasse - ich könnte seitenweise über diese Sonate erzählen...
Ähnlich wie bei dieser Sonate verhält es sich mit seinen Klaviertrios. Einfache Themen und Melodien, aber so gekonnt präsentiert und atmosphärisch verdichtet, daß einem die Gänsehaut sicher ist. Meine
Lieblingsaufnahme der Trios: Die von "La Gaia Sciencia".
Das soll mal reichen für Schubert...
Der Esoteriker:
Gustav Mahler
Das gruftigste was die klassische Musik überhaupt zu bieten hat sind wohl die Kindertotenlieder. Muß man mehr sagen als den Titel? Ich glaube nicht, nur anhören muß man sie sich. Am besten die Aufnahme mit Bryn Terfel, der hat auch eine für Nicht-Klassik-gewohnte Ohren sehr angenehme Stimme.
Der Korrekte:
Johannes Brahms
Bei Brahms könnte ich genauso ins Schwärmen geraten wie bei Schubert, aber das verkneife ich mir
jetzt. DAS Werk schlechthin ist das deutsche Requiem. Seit Bach hat es wohl niemand mehr geschafft, Text und Musik so perfekt zu verbinden wie Brahms in diesem Requiem. Meine Lieblingsaufnahme ist natürlich die auf der ich selber mitsinge
Die Ausnahme:
Gaetano Donizetti
Zugegeben - ich mag Opern nicht sehr, vor allem nicht die italienischen Jammerarien mit Happy-End. Die große Ausnahme ist "Lucia di Lammermoor". Eine junge Frau wird von ihrem Vater belogen (er erzählt ihr, ihr Geliebter sei tot), und sie willigt daher ein, einen Typen zu heiraten den sie haßt, um ihrem Vater einen Gefallen zu tun. Der Treueschwur an ihren Geliebten ist ja durch dessen vermeintlichen Tod sowieso hinfällig. In der Hochzeitsnacht erfährt sie dann, daß ihr Geliebter doch noch lebt und mächtig sauer auf sie ist (Treuebruch). Das treibt sie in den Wahnsinn, und sie meuchelt noch in der Hochzeitsnacht ihren frisch angetrauten Ehemann. Ihr Geliebter bringt sich auch um und sie stirbt am Wahnsinn. Wahnsinnig sind auch die Arien, die Lucia zu singen hat. Wer den Film "Das Fünfte Element" kennt - was dieses blaue Alien (Plavalaguna) singt, ist der Anfang der "Wahnsinns-Arie".
Der Frauenschwarm
Frederic Chopin
Chopin? Das war doch der mit den vielen Walzern und Polonaisen, oder? Richtig, aber die interessanteren Stücke sind die Nachtstücke (Nocturnes). Einfach Licht ausschalten und in die Nacht davontragen lassen. Die Referenzaufnahmen sind und bleiben die von Artur Rubinstein. Er ist einer der wenigen, die es schaffen, diese Stücke ohne Schmalz zu spielen.
Der Virtuose:
Franz Liszt
Der beste Freund Frederic Chopins. Vor allem in seinen letzten Lebensjahren hat er kurze, aber sehr düstere und bedrückende Stücke komponiert. Dazu zählen z. B. "Unstern!", "Nuages gris" oder "R.W. Venezia". Letzteres hat er als Nachruf für seinen in Venedig verstorbenen Schwiegersohn, Richard Wagner, komponiert. Leider gibt es nur wenige Aufnahmen von diesen Stücken, und die besten sind wohl von Leslie Howard, der einzige Mensch der es bisher geschafft hat, sämtliche bekannten Klavierwerke Franz Liszts auf CD einzuspielen.
Der Exzentriker:
Igor Stravinsky
Der Feuervogel. Diese Musik muß man als Bild auf sich wirken lassen. Eisige Einöde, dann fröhlicher
Frühling, der jäh von einem zornigen Ausbruch eines wilden Wesens zerrissen wird - man wird von diesem Stück förmlich festgenagelt. (So, genug Alliterationen für heute
)
Der Träumer:
Claude Debussy
Von Debussy gibt es in dem Sinne keine gruftige Musik. Bei ihm ist alles nur überirdisch. Seine Musik handelt vom Meer, von Faunen, Feen, sprechenden Spielzeugen und allerlei anderem. Aber auch in der Schwarzen Szene ist Träumen in überirdischen Sphären erlaubt. Zum Anhören empfehlen sich seine Preludes für Klavier, vor allem "La cathedrale engluutie" (Die versunkene Kathedrale), gespielt von Krystian Zimerman.
So, das wars für heute. Wem noch etwas einfällt - einfach dazuschreiben. Aber bitte nicht nur WAS fehlt, sondern auch WARUM man es fehlt.
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01.02.2006 04:26 |
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Schubert's Winterreise fehlt noch, nachdem wir das ausführlichst in der Schule behandeln und behandelt haben, könnte ich langsam ein Buch drüber schreiben
Bereits beim Durchlesen der Gedichte fällt auf, es herrscht eine melancholische und teils sehr kalte Stimmung, die Schubert (teilweise) auch absolut genial vertont
Hab leider nur zwei Aufnahmen hier, die mir allerdings beide nicht wirklich zusagen, bei der einen ist der Sänger grausig, bei der anderen das Klavier (absichtlich?) etwas zu leise, dass man die Begleitung stellenweise kaum/gar nicht hört
http://www.gopera.com/winterreise/songs/cycle.mv (Die Gedichte/Texte der Lieder)
__________________
A great prosperity came, as life conquered even the highest mountains
Mass extinctions came wave after wave
but empty niches always quickly refilled
to once again prosper, grow, and reproduce
Someday the next great emigration will occur
as we leave this existence looking for another
The journey will begin anew
I hold within me all the memories that have passed
Who am I...
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01.02.2006 11:26 |
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Abtreter
Schwaflibus everytimus sinnlosicus
Dabei seit: 06.07.2005
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- Antonio Vivaldi's "Winter" aus den "Vier Jahreszeiten"
- Carl Orff "Carmina Burana"
bei Geistesblitz mehr...
Treter
__________________ Schlussklausel vor der Werbung:
Forenbedingte Pseudoschlammschlachten trage ich nur per PN unter Berücksichtigung des Beibehaltens aller zur sinnvollen Klärung des Sachverhaltes notwendigen Sachlichkeit aus.
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01.02.2006 11:41 |
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Evegret
Hermaphrodit
Dabei seit: 16.08.2005
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Chopins "Trauermarsch"
klingt ziemlich depressiv!
__________________ "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist."
(Victor Hugo)
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04.02.2006 11:16 |
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Noctis
einen benutzertitel?
Dabei seit: 11.01.2005
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wie wäre es mit beethovens mondscheinsonate?
oder das lacrimosa aus mozarts requiem?
adagio for strings von samuel barber?
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they are all a bunch of nazi conformist cheerleaders.
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26.03.2010 18:40 |
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yatholen
Geheime Meisterin
Dabei seit: 17.01.2010
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gute idee, sowas auszubuddeln...
faellt mir spontan ein:
Arvo Paert- de profundis- weil es hinwegtraegt und den atem raubt.
-an den wassern zu babel sassen wir und weinten-mystisch...
auch noch am leben...joerg widmann- 5 bruchstuecke, verstoerend :O
__________________ "...wie kannst du wahrhaftig sein, wenn die zweifel dich zerfleischen..."
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27.03.2010 00:07 |
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Impressum
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