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Zum Ende der Seite springen Tacitus, Germania
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[robson] [robson] ist männlich
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Dabei seit: 30.03.2005

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Zitat:
Es geht mir nicht darum, darzustellen, dass Tacitus mit der Germania die Germanen loben und die Römer tadeln wollte, sondern dass antike Schriftstücke oft falsche Tatsachen widerspiegen (welche selbstverständlich nicht immer negativ konnotiert sein müssen), teilweise beabsichtigt, teilweise durch schlichte Unkenntnis. Das war bei Caesar ebenso der Fall wie später bei Tacitus.


Natürlich finden sich überall, wo wir's mit antiker Geschichtsschreibung zu tun haben, Fehler (aus moderner Sicht), sei es bei Herodot, Thukydides, Polybios, Sallust, Tacitus usw., da werden falsche Informationen von einem Historiker an den nächsten weitervererbt, Zusammenhänge erfunden usw.
Aber man sollte nicht den Fehler machen, die antike Geschichtsschreibung nach modernen Kriterien zu bewerten, in der Antike ist Geschichtschreibung immer auch Belletristik, die ganz bestimmten Zwecken und nicht zuletzt der Unterhaltung dient, auch wenn die Autoren immer wieder ihre Glaubwürdigkeit beteuern und sogar erkenntnistheoretische Modelle aufstellen.
Für mich als Altphilologen sind die Art dieser Literatur, die Gestaltung, die Form, die Sprache, die Aussageabsicht, das Menschenbild, die Tradition des Genres und das zu erwartende Publikum viel entscheidender für die Bewertung der Literatur, nicht primär, ob die Informationen historisch korrekt sind oder nicht, ich bin ja schließlich kein Historiker. Aber ich werde auch tagtäglich mit modernen Historikern konfrontiert, die erstens die Texte nicht genau lesen und so wie es ihnen passt nach Informationen und der allseits beliebten Richtig-Falsch-Dichotomie sortieren.
Ich schreibe gerade an 'ner Arbeit über Polybios und seine Beurteilung der röm. Verfassung, da hagelt's auch richtigerweise nur vernichtende Urteile über die historische Akkuratheit, von einleuchtenden Begründungen für diesen "Mangel" ist aber keine Spur zu finden.

Zitat:
Und dass die "Germania" bzw. Tacitus sehr geschätzt wurden, wird ja durch Marcus Claudius Tacitus deutlich, der während seiner Regierungszeit veranlasste, 150 Jahre nach Tacitus' Tod, Tacitus' gesamte Werke mehrmals im Jahr auf Staatskosten abzuschreiben. Dabei berief er sich auf seine angebliche Abstammung von Publius Cornelius Tacitus. Diesem Anlass mag man wohl verdanken, dass die "Germania" überhaupt bis heute erhalten geblieben ist.


Dann sollte man aber auch betonen, dass dieser Kaiser Tacitus nur sechs Monate (von den eigenen Soldaten beseitigt, verständlich übrigens, wenn man so etwas liest: hic [=imperator Tacitus] idem mensem Septembrem Tacitum appellari iussit, idcirco quod eo mense et natus et factus est imperator grosses Grinsen ) im Amt war und es wahrscheinlich gar nicht zu dieser Abschreibeaktion gekommen ist, dann hätten wir wahrscheinlich nämlich deutlich mehr Textzeugen, wenn (nach Vopiscus, Tac. 10,3) die Schriften des Tacitus alljährlich zehnmal in allen(!) Bibliotheken des Reiches abgeschrieben worden wären.
Außerdem spricht Vopiscus an dieser Stelle von einer "historia Augusta" (nicht etwa von den gesammelten Werken des Tacitus), mit der wahrscheinlich, wenn man die Aussage des Hieronymus, der In Zachariam 3,14 sagt, er kenne ein Tacituskorpus in 30 Büchern (= Annalen+Historien), nur die Annalen und Historien gemeint sind; sollte die Germania ein Exkurs in einem der Werke gewesen sein, ist sie dort natürlich auch dabei, aber keinesfalls als Einzelveröffentlichung.
Dafür spricht auch, dass die erhaltenen Partien aus Historien und Annalen uns gemeinsam, d.h. in einem codex unicus (Laurentianus Mediceus lat. 68,2) aus dem 11.Jh überliefert sind, während die kleineren Schriften ebenfalls als codices unici, aber gesondert, d.h. im Hersfeldensis bzw. Aesinas, erhalten sind. Es wäre schon sonderbar, wenn diese verschiedenen Abschriften aus einer Quelle, d.h. Gesamtausgabe des Tacitus stammen würden.
Im Gegenteil, man kann auch - wie einer meiner ehemaligen Dozenten - aufgrund der großen Stildifferenz und der Überlieferungssituation zwischen den großen und kleinen Werken gut begründet annehmen, dass die Germania und der Dialogus gar nicht von dem Tacitus, der Historien & Annalen verfasste, stammen.

Zitat:
Die Zeit, in der die "Germania" Erfolg ernten konnte, lag allein um seine Lebzeite bis kurze Zeit darauf (siehe Marcus Tacitus).


Es spricht meines Wissens (sollte es antike Quellen geben, die Tacitus einen wie auch immer gearteten Erfolg bescheinigen, würde ich mir die gerne mal anschauen), wie gesagt, nichts dafür, auch Kaiser Tacitus nicht (s.o.), außer der Annahme, dass das Thema ja auf positive Resonanz treffen müsste, weil es Zeitgeschehen betrifft. Damit hat man sich aber auch bei anderen antiken Autoren schon desöfteren in die Nesseln gesetzt, was Datierung und Autorschaft angeht. Entscheidend für den Erfolg und die Überlieferung sind oft ganz andere Dinge als das "Thema".

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06.09.2006 14:26 [robson] ist offline E-Mail an [robson] senden Beiträge von [robson] suchen Nehmen Sie [robson] in Ihre Freundesliste auf Fügen Sie [robson] in Ihre Kontaktliste ein
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Themenstarter Thema begonnen von skadi_njoerd
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Zitat:
Original von [robson]
Aber man sollte nicht den Fehler machen, die antike Geschichtsschreibung nach modernen Kriterien zu bewerten, in der Antike ist Geschichtschreibung immer auch Belletristik, die ganz bestimmten Zwecken und nicht zuletzt der Unterhaltung dient, auch wenn die Autoren immer wieder ihre Glaubwürdigkeit beteuern und sogar erkenntnistheoretische Modelle aufstellen.


Damit magst du Recht haben. Aber es ging mir, wie aus meinem Eingangsposting zu diesem Thema zu ersehen, darum, dass ein Laie nicht den Fehler begehen sollte, der antiken Geschichtsschreibung aufs Wort zu glauben und alles, was dort geschildert wird, für bare Münze zu nehmen. Dass vieles anders war, was Tacitus oder Caesar zum Nachteil derer, von denen sie berichten, schildern, lässt sich durch die Archäologie und die Historik beweisen (beispielsweise bestens durch Moorleichenfunde, Ausgrabungen von Langhausfundamenten, alten Walstätten und Siedlungen (z. B. Haithabu) mit Hilfe verschiedenster wissenschaftlicher Techniken etc.). In dem Fall sollte man die antike Geschichtsschreibung / die Altphilologie strikt von der Historik trennen. Ich bin in zuerst genannten Gebiet keine Expertin und halte mich an die Erkenntnisse der Archäologie / Vor- und Frühgeschichte, die in vielen Fällen weitaus mehr über das tatsächliche Leben der (Ur-)Germanen zu berichten weiß als die antike Belletristik / Geschichtsschreibung. Dass letztere natürlich mindestens genauso wichtig ist, um sich über die damals agierenden Persönlichkeiten ein Bild machen zu können, ob römische, gallische oder germanische Heerführer / Stammesfürsten, ist nicht von der Hand zu weisen und dessen bin ich mir vollends bewusst. Ohne diese antiken Quellen könnte man das Bild nicht abrunden, vieles läge trotzdem im Dunkeln. Aber erst durch die (experimentelle) Archäologie und Historik gewinnt dieses Dunkle etwas Lebhaftes, und man kann mit fast 100 %-iger Bestimmtheit sagen, wie es damals tatsächlich war. Das, finde ich, ist ein wichtiger Aspekt, den man z. B. beim Lesen der "Germania" nicht außer Acht lassen darf. Nur deswegen habe ich anfangs darauf hingewiesen; nicht, weil ich nicht weiß, wieso Tacitus eben jenes Werk verfasste.

Zitat:
Im Gegenteil, man kann auch - wie einer meiner ehemaligen Dozenten - aufgrund der großen Stildifferenz und der Überlieferungssituation zwischen den großen und kleinen Werken gut begründet annehmen, dass die Germania und der Dialogus gar nicht von dem Tacitus, der Historien & Annalen verfasste, stammen.


Gut, das sind wieder Dinge, die man vermutet, genauso, wie behauptet wird, ein Teil des Werkes "De Bello Gallico", 6. Buch, Kapitel 25 (bzw. bis 28) sei unecht. Aber solche Dinge wird man aller Wahrscheinlichkeit nach nie klären können, und selbst wenn Tacitus die "Germania" nicht geschrieben haben sollte, wie vielleicht einige Historiker annehmen, so spricht das ja nicht dafür, dass die widergespiegelten Tatsachen (und von denen in dem Moment der Niederschreibung absichtlich/unabsichtlich behauptet wird, sie wären tatsächlich so) der Wahrheit entsprachen.

Aber wie bereits gesagt: wir betrachten diese Thematik aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. zwinkert

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10.09.2006 02:35 skadi_njoerd ist offline E-Mail an skadi_njoerd senden Beiträge von skadi_njoerd suchen Nehmen Sie skadi_njoerd in Ihre Freundesliste auf
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